In eigener Sache

Was soll eigentlich dieser ganze Quatsch mit den “forced draws”?

Nun, ursprünglich glaubte ich, es gäbe in jeder Eröffnung eine bestimmte endliche Anzahl von forcierten Remisvarianten. Man könnte die ja mal sammeln und katalogisieren. Bei chessgames.com fand ich z.B. folgende Liste, die man entsprechend ausbauen könne. Mein methodischer Ansatz war dabei, einfach mal eine große Datenbank nach kurzen Remisen, zwischen dem 10. und 25. Zug, zu durchsuchen. Dabei stieß ich auf ein sonderbares Phänomen, dem Phänomen der “üblichen Verdächtigen”. Auf einmal waren sie alle da, die Lekos, die Svidlers, die Gelfands, die Radjabovs, aber auch viele andere Großmeister, die mir bislang diesbezüglich noch nicht aufgefallen waren, wie z.B. Grischuk.

Wer mal in die exklusiven Veranstaltungen der geschlossenen Turnieren vorgedrungen ist, dem geht es natürlich in erster Linie darum, dabei zu bleiben. Man muss im Prinzip einfach nur seine Spielstärke halten, und kann damit rechnen, als Top-Spieler auch künftig wieder eingeladen zu werden. Der Trick bestand darin, nicht nur mit Schwarz superscharfe Systeme zu spielen, die in einem forcierten Remis enden, sondern auch mit Weiß. Man fraß die beiden lokalen Spieler ab, die vom Veranstaler gesetzt waren, und hackte sich gegenseitig kein Auge aus. Damit ließ sich als Profi in der Weltspitze offenbar ein schönes Einkommen erzielen.

Als ich das erkannt hatte, stellte sich die Frage, ob man ein komplettes Eröffnungsrepertoire auf Basis forcierter Remisvarianten aufbauen kann. Das ganze hat den Vorteil, dass es auch gerne hochkomplizierte Varianten sein können, bei denen der Gegner Fehler machen kann. Auf diese Weise macht man schon mal “sicher” 50%, aber mit entsprechend viel Luft nach oben. Geboren war der Drawmeister! Wenn die Superstars das können, kann es jeder, stimmts? Stimmt! Siehe z.B. Cornette und Christiansen.

Gerade Letzter ist ein perfektes Beispiel für den Drawmeister, der allein aufgrund seiner Eröffnungen mittlerweile sogar die 2600 überschritten hat. In den Eröffnungen spielt er Elo 3600, sobald er jedoch einen eigenen Zug machen muss, kann er mit viel Glück vielleicht noch die 2200 halten. Eine solch krasse Form von Stat-Padding habe ich in 40 Jahren Schach noch nicht gesehen.

Bei der ganzen Geschichte fiel mir jedoch ein Spieler auf, der sozusagen das Kryptonit für die Drawmeister darstellt, Magnus Carlsen. MC spielt freiwillig zweitklassige Varianten, bei denen er den Nachteil jedoch innerhalb weniger Züge wieder aufholt. Es hat sich aber noch eine weitere Kathegorie von Spielern etabliert, der Helicopter-Hat. Hier wären Caruana und MVL zu nennen. Diese Generation von Super-Nerds schlägt die Drawmeister im Labor. Sie kommen aber durch immer bessere Engines an ihre Grenzen.

Nichts desto trotz halte ich den grundlegenden Ansatz weiterhin für essenziell wichtig. Man muss die forced draws kennen, als Favorit um zu gewinnen, und als Underdog um nicht zu verlieren. Wenn man gegen Gleichstarke spielt, ist ein Remis ohnehin ok.